Theresa Haßlberger LL.M.-2

01.02.2022

Endlich Klarheit in der Frage der Mietzahlungspflicht während Betriebsschließungen in der Coronapandemie

Fachbeitrag zum Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Januar 2022 – XII ZR 8/21

von Theresa Haßlbeger LL.M. (King´s College London), Senior Associate / Rechtsanwältin bei Taylor Wessing

Die Coronapandemie stellt die Akteure des Immobilienmarktes bei der Gewerbemiete vor folgende Frage: Schuldet nun der Mieter in der Zeit einer angeordneten Schließung noch die volle vertragliche Miete und falls nein, in welcher Höhe darf der Mieter kürzen?: Die behördlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie schränkten für zahlreiche Gewerbemieter den Betrieb und somit die Nutzung der Mietsache ein. Schuldet nun der Mieter in der Zeit einer angeordneten Schließung noch die volle vertragliche Miete und falls nein, in welcher Höhe darf der Mieter kürzen?

Über diese Frage hat der Bundesgerichtshof am 12. Januar 2022 (Az. XII ZR 8/21) nun erstmalig seit Beginn der Pandemie entschieden. Bis dahin konnten Vermieter und Mieter nur schwer einschätzen, welche Kriterien zu berücksichtigen sind und ebenso wenig den etwaigen angemessenen prozentualen Abschlag abschätzen. Entsprechend versuchten die Parteien in den überwiegenden Fällen eine vertragliche Einigung zu finden. Scheiterte dies, endeten diese Fälle vielzählig vor Gerichten; diese setzen aber ganz unterschiedliche Maßstäbe an. Der Bundesgerichtshof hat nun in den Kernfragen Klarheit geschaffen, welche einen gravierenden Einfluss auf die Zukunft des Marktes der Gewerbemiete haben wird.

Vor diesem Hintergrund folgt ein komprimierter Praxisbericht meiner rechtlichen Beratung sowie die Lehren, die Vermieter und Mieter für ihre Zukunft ziehen sollten.

1.    Wie alles begann

Kehren wir zurück zur Anfangsfrage: Sobald die ersten Lockdownmaßnahmen im März 2020 angekündigt wurden war die dringlichste Frage unserer Mandanten, was dies für ihre Mietzahlungen bedeute. Um es kurz zu machen: Die überwiegende Meinung der Juristen sah zu dieser Zeit keine gesetzliche Grundlage für eine reduzierte Miete und weiterhin sei – außer bei abweichenden vertraglichen Regelungen – die volle Miete zu entrichten.

Zugleich erkannte der Gesetzgeber den Handlungsbedarf und durch eine Gesetzesänderung (Art. 240 § 2 EGBGB) wurde der Mieter zumindest vor einer Kündigung bewahrt, wenn er die Mieten für April bis Juni 2020 nicht leistete. Während die Pandemie nun jedoch über diesen Zeitraum hinaus andauert, konnten Vermieteranwälte zwar raten, Mietsicherheiten in Anspruch zu nehmen oder auf Zahlung zu klagen. Guten Gewissens konnte man im Anblick der aufzuwendenden Kosten, Verschlechterung der Vertragsbeziehungen und der Insolvenzgefahr des Mieters jedoch dem Vermieter zumeist nur abraten und vielmehr anstreben eine Einigung mit den Mietern zu finden. Gleiches gilt auf Mieterseite, denn für den Mieter bestand bei einer eigenmächtigen Kürzung der Miete die Gefahr einer Kündigung, Zahlungsklage und von Schadensersatzforderungen. Der deutsche Gesetzgeber sah lange Zeit augenscheinlich keinen weiteren Handlungsbedarf während in anderen Ländern durch schnelle Gesetzesänderungen verschiedene Abmilderungslösungen für die betroffenen Gewerbemieter fanden.

2.    Die Kehrtwende 2021

Spannend wurde es nun zum Jahresbeginn 2021 durch eine kurzfristige Gesetzesänderung (Art. 240 § 7 EGBGB), mit welcher sich der BGH nun auch in seinem Urteil befasst hat. Der Gesetzgeber legte neu fest, dass die Pandemie dem Grunde nach eine Störung der Geschäftsgrundlage“ (§ 313 BGB) des Mietvertrages darstellt. In der Folge ermöglichte dies, dass über § 313 BGB der Mietzins in Zeiten der Pandemie nach unten angepasst werden kann. Die Pandemie – als eine keiner Partei zurechenbare höhere Gewalt – ist kein bloßes Betriebsrisiko des Mieters und kann nicht nur ihm aufgebürdet werden – Eigentum verpflichtet. Der Mieter sollte sich jedoch nicht zu früh auf eine pauschale 50/50-Lösung freuen, denn dieser einseitige Eingriff in den Vertrag zuungunsten der anderen Partei muss Ausnahmefällen vorbehalten sein. In Bezug auf das Mietverhältnis muss es dem Mieter unzumutbar sein, am Vertrag und somit vereinbarten Mietzins festzuhalten. Alles in allem muss dies im Rahmen einer Abwägung im Einzelfall der widerstreitenden Parteiinteressen beurteilt werden.

In einer Abkehr von der bisherigen Rechtslage wird dem Mieter damit vordringlich eine gesetzliche Grundlage eröffnet, die Miete anzupassen. Der Vermieter muss zugleich seine nunmehr geschwächte Rechtsposition und ebenso die fehlende Sicherheit, die volle Leistung der Miete fordern zu können, neu bewerten. Als ersten Effekt kann man vermerken, dass Mieter verstärkt nur eine geringere Miete oder nur unter Vorbehalt zahlte. Mit diesem Druckmittel und der Stärkung der Verhandlungsposition wurden vielfach erneut Verhandlungsgespräche angestoßen. Zeitgleich ließ sich ebenso das Gegenteil beobachten, da Vermieter bei einem zu aggressiven Vorgehen jegliche weitere Gespräche ablehnten und das Vertragsverhältnis damit nachhaltig gestört wurde. Bei besonders lang andauernden und hohen Zahlungsrückstanden wurde zudem die Kalkulation des Vermieters für die Rentabilität beim Ankauf der Immobilie zerstört. Zugleich hatte er die eigenen Verpflichtungen aus der Finanzierung der Immobilie zu erfüllen während aber der dafür notwendige Cash-Flow aus den Mieten ausblieb.

Alle bis dahin geschlossenen Vereinbarungen der Parteien wurden nun oftmals nochmals genauer betrachtet. Durch diese neue Einigung legten die Parteien dem Mietvertrag eine „aktualisierte“ Geschäftsgrundlage zugrunde, welche oftmals nun auch die gesamte Pandemie einschloss. Somit versperrte eine solche Einigung - je nach Formulierung - die Anwendung von § 313 BGB auf das Mietverhältnis auch für die Zukunft.

3.    Die Bandbreite der gerichtlichen Bewertungen

Auf Grundlage der im Jahr 2021 nach und nach folgenden Urteile zur Bewertung der Unzumutbarkeit und Abwägung bildete sich folgende Schnittmenge heraus: Erster Ansatzpunkt der Abwägung ist der wirtschaftliche Verlust des Mieters im betroffenen Schließungsmonat, sodass der Umsatzrückgang um die ersparten (oder ihm vorwerfbar versäumten) Aufwendungen zu kürzen ist. Als Einsparungen des Mieters kamen vor allem Kurzarbeitergeld und gewährte staatliche Unterstützungsleistungen (Überbrückungshilfe I bis III) in Betracht. Ein Vergleich zu Vorjahren konnte zeigen, dass die Verluste auch kausal auf der Pandemie beruhten. Die konkreten Umstände zum Vertragsabschluss und -intention sowie der Parteien konnten im Einzelfall ebenso Berücksichtigung finden.

Den Vermietern kam ein strategischer Kostenvorteil zu Gute: Während der Vermieter lediglich den Anspruch auf die Miete durch Vorlage des Mietvertrages nachzuweisen hat, muss der Mieter vollumfänglich alle Kriterien der Störung der Geschäftsgrundlage darlegen und beweisen. Einer kurzen zweiseitigen Klageschrift standen oft bis zu 20-seitige Schriftsätze des Mieters gegenüber.

Außerhalb dieser Schnittmenge erweiternden einzelne Gerichte die vorzutragenden Voraussetzungen und erhöhten die Anforderungen an die Unzumutbarkeit. Die folgenden Fälle aus meiner Praxis waren gleichgelagert ebenso bei mehreren Gerichten zu beobachten:

•    Schema F nach %

In der mündlichen Verhandlung gab das Gericht ein klares prozentuales Rechenschema vor: Eine Mietreduktion von 50 % für Schließungszeiten ist der Ausgangspunkt und davon wurden pauschale prozentuale Abzüge vorgenommen. Weitere verlustreiche Monate aufgrund Click&Meet- oder Click&Collect-Verkaufs wurden schon grundlegend als nicht relevant abgelehnt. Somit eine einfache Rechenaufgabe:

50 % minus Nebennutzung als Lager minus ersparte Aufwendung = Mietreduktion x.

•    Die Ausdehnung der Abwägung

Über das konkrete Mietverhältnis hinaus dehnten andere Gerichte sowohl den örtlichen Radius der Betrachtung aus als auch die zu berücksichtigenden wirtschaftlichen Kennzahlen wurden über die Mieterpartei hinaus angefragt. In mehreren Prozessen forderte das Gericht auch die deutschlandweiten Umsätze aller Einzelhandelsgeschäfte des Mieters vorzulegen, da ihm Gewinne von anderen Standorten anteilig zuzurechnen seien. In Angesicht einer weltweiten Pandemie konnte eine solche Beurteilungsspanne natürlich auch nicht zu einem anderen Ergebnis führen. In ähnliche Richtung ging die Aufforderung zur Vorlage der wirtschaftlichen Daten anderer Ladengeschäfte des Mieters im Landkreis. Es gab jedoch kein einziges weiteres Geschäft des Mieters im Landkreis und selbst wenn hätten ohnehin die identischen Schließungsanordnungen zu gleichen Umsatzeinbußen geführt.

Oftmals stand zur Diskussion ob und inwieweit im Einzelhandel der Onlinehandel des Mieters zu berücksichtigen ist. Denn vielfach verlagerte sich der Ausfall des Vor-Ort-Einkaufs ins Onlineshopping, welches eine enorme Steigerung in der Pandemie erfuhr. Es ist jedoch nicht möglich die verstärkten weltweiten oder auch deutschlandweiten Onlinebestellungen konkret der Schließung eines bestimmten Geschäftes zuzuordnen.

Manche Vermieter forderten, dass selbst, wenn der Onlinehandel über eine andere Gesellschaft im Ausland und ohne Gewinnbeteiligung des Mieters durchgeführt wurde, sollte dieser mittelbar dem Mieter zuzurechnen sein. In seltenen Fällen wurde dieser Linie gefolgt, aber zumindest in Erwägung gezogen. Den Extremfall stellte die Anforderung dar, dass erst bei einer nachgewiesenen Existenzgefährdung des Mieters eine Unzumutbarkeit angenommen werden soll.

Als psychologisch-taktische Strategie wurde gerne auch ein David gegen Goliath Szenario aufgebaut: Aus Sicht der schwächeren Partei sei sie schützenswerter als der internationale Immobilienhai, die Luxushotelgruppe oder der große Modekonzern. Diese finanziell gut ausgestattete Gegenpartei könnte schließlich eine Pandemie besser abfedern. Vor Gericht wurden diese Argumente wenig beachtet, aber natürlich führte dieser Vortrag oftmals zu einer gewissen Milde gegenüber den David-Parteien.

4.    Endlich: Das BGH-Urteil

Entsprechend der Bandbreite an unterschiedlichen Bewertungen wurde die höchstrichterliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs von Vermieter und Mieter lange erwartet. Das Urteil vom 12. Januar 2022 setzte der Diskussion und Unschärfe der Abwägung zwar kein Ende, aber legte in vielen Punkten wichtige Grundsätze fest.

Die Reduzierung der Miete aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage bei angeordneten Schließungen kommt nach dem BGH grundsätzlich in Betracht und muss unter einer Einzelfallabwägung des jeweiligen konkreten Mietverhältnisses beurteilt werden. Das Risiko, einer von keiner Partei zu vertretenden Pandemie, kann nicht nur einer Partei einseitig aufgebürdet werden. Ganz klar wurde eine pauschale 50 %-Kürzung abgelehnt und auch keine möglichen Quoten für die Berechnung in Betracht gezogen. Für die Beurteilung bestätigt der BGH die von der Mehrheit der Gerichte bisher berücksichtigten Punkte: Der Umsatzrückgang des Mieters ist unter Anrechnung der erhaltenen finanziellen Vorteile zu betrachten. Diese Tatsachen sind vom Mieter vorzutragen und zu beweisen. Sehr deutlich begrenzt der BGH diese Abwägung auf das konkrete Mietobjekt und auch den konkreten Mieter. Auf Konzernumsätze soll ausdrücklich nicht abgestellt werden. Eine klare Absage wurde auch dem Kriterium der Existenzgefährdung erteilt. Ebenso sind die Vermieterinteressen dem gegenüberzustellen. Die Kausalität zwischen der Pandemie und den Verlusten des Mieters kann der Vermieter nur erfolgreich bestreiten, wenn er anderes darlegen und beweisen kann.

5.    Fazit und Ausblick

Nach eigener Einschätzung ist die klare Linie der Abwägungsgrenzen sehr zu begrüßen. Die Parteien haben beim Abschluss des Mietvertrages kraft ihrer Vertragsautonomie ihre rechtliche Beziehung in Bezug auf das Mietobjekt und den konkreten Vertragspartner festgelegt. Ein Eingriff in dieses System durch die einseitige Korrektur des Vertrages muss somit einer strengen Prüfung unterzogen werden, die sich zugleich aber nur auf den konkreten Vertrag beschränken darf.

In der Praxis hätte man sich gerne eine pragmatischere Lösung gewünscht. Mit der Angabe von ungefähren Kürzungsquoten durch den Bundesgerichtshof hätte man in der Beratung die angemessene Kürzung für die Parteien treffsicherer einschätzen können. Die Prämisse der Einzelfallabwägung lässt dieses Vorgehen nach dem BGH jedoch nicht zu. Nach der Räson der Entscheidung aber kann die mögliche Reduzierung jedenfalls 50 Prozent nicht überschreiten. Meiner Ansicht nach wird jedes Gericht jedoch ohnehin – zumindest gedanklich – als Ausgangspunkt die hälftige Teilung des Risikos wählen und davon im Rahmen der Abwägung und konkreten Umstände nach unten anpassen. Leider wurde eine Frage nicht betrachtet: Neben der Vollschließung erlebten betroffene Gewerbe auch durch andere Einschränkungsmaßnahmen oftmals annähernde Verluste. Die rechtliche Bewertung dieser Fälle ist somit weiterhin unklar.

Dies schon abgeschlossenen Vereinbarungen der Parteien – „Corona-Nachträge“ – sollte man nochmals unter die Lupe nehmen. Die auslaufenden Regelungen können gegebenenfalls verlängert werden. So zum Beispiel, wenn nur eine kurzzeitige Stundung der Miete oder Mietminderung zum damaligen Zeitpunkt angemessen erschien. Umgekehrt wird nun ein Großteil der staatlichen Hilfen beschieden sein. In diesem Falle sollte der Vermieter idealweise bedacht haben, dass die staatlichen Hilfen die Höhe der Reduktion proportional verringern. Ein Entgegenkommen des Vermieters tauscht dieser gerne gegen eine Verlängerung einer bald endenden Mietlaufzeit. Betroffene Mietflächen sind zur Zeit und auch nach der Pandemie erschwert und nur unter schlechteren Konditionen weiterzuvermieten.

Bei neuen Vereinbarungen sollte immer bedacht werden, ob nun sogleich Regelungen für zukünftige Einschränkungen durch erneute Lockdowns oder weitere Pandemien sinnvoll sind. Hilfreich sind vor allem klar definierte Fallgruppen mit der Zuordnung von konkreten Minderungsquoten. Ganz weitreichend sind die sog. „Force-Majeur“-Klauseln: Für jegliche Fälle der höheren Gewalt oder bestimmte Fallkategorien wird die Risikoaufteilung zwischen den Parteien festgelegt. Sehr oft kommt der Anstoß für diese Klauseln von der Vermieterseite und stammen aus der Feder des Vermieters. Ziel ist es dann, die Mieterrechte in den genannten Fallkonstellationen oder generell einzuschränken bzw. sogar vollständig auszuschließen. Gerade diese Regelungen trifft man nun auch in vielen neuen Mietvertragsentwürfen vermehrt an. Über die Wirksamkeit dieser Klauseln – v.a. vor dem Hintergrund der AGB-Prüfung – wird es somit auch eine zunehmende Diskussion aus rechtlicher Sicht geben. Es ist zu erwarten, dass damit ein breiteres Spektrum an verschiedenen Meinungen mit konträren Ansichten entsteht. Am Ende sieht man sich dann wieder vor dem BGH.


Über die Autorin

Theresa Haßlberger LL.M. (King´s College London) ist Rechtsanwältin für Commercial Real Estate bzw. Immobilienwirtschaftsrecht. Sie ist spezialisiert auf Immobilientransaktionen und rechtliche Beratung rund um die Immobilie v.a. im Mietrecht für Gewerberaum. Zusätzlich arbeitet sie seit 2021 als Dozentin für die ADI Akademie der Immobilienwirtschaft im Studiengang zum/zur „Diplom-Immobilienökonom/in (ADI)“. Mit ihrer Vorlesung "Transaktionsmanagement" vermittelt sie den Studierenden den Ablauf wie auch die Struktur einer Transaktion.

„Ich freue mich meine Expertise weiterzugeben und zugleich den Austausch mit den verschiedenen Fachbereichen zu fördern. Weiterhin schätze ich den interessanten Dialog, der sich bei der Vorlesung entwickelt, und somit den Unterricht spannend macht.“

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